Text: Werner Deuerlein
Der Anfang in Affalterthal
Eine der markantesten Persönlichkeiten der Erweckung im Ravensberger Land war Pastor D. Johannes Kuhlo, der wegen seiner Bedeutung für die Posaunenbewegung allgemein unter der Bezeichnung "Posaunengeneral" Kuhlo bekannt ist. Eine freundliche Fügung Gottes muss man es nennen, dass unser Affalterthaler Posaunenchor ihm seine Entstehung verdankt. Gehen wir deshalb zurück in das Jahr 1892. Die Kirchengemeinde Affalterthal hat sich am Sonntag, den 28. Februar zum
Gottesdienst versammelt. Die Gemeindeglieder blicken heute erstaunt und neugierig zu dem Häuflein junger Burschen, das sich um die Orgel geschart hat. Die Gruppe hat glänzende Instrumente in den Händen. Nun gibt ein schwarzbärtiger, unbekannter Mann ein Zeichen und aus den Instrumenten ertönt das Lied: "Christus, der ist mein Leben" Mit diesem Choral wurde der Posaunenchor Affalterthal ins Leben gerufen.
Nach dem Gottesdienst begann das Rätselraten in der Gemeinde. Wie können solche fünf Bauernburschen so ein Lied spielen ? Wer ist der schwarzbärtige Mann, der sie angeleitet hat ? Der Schlüssel für die Antworten liegt im Pfarrhaus. Unser damaliger Ortspfarrer, Herr Reich, hatte Mitte Februar Besuch von seinem Studienfreund Pastor D. Johannes Kuhlo aus dem Ravensberger Land erhalten.
Exkurs: Pastor D. Johannes Kuhlo
Johannes Kuhlo wurde am 08. Oktober 1856 in Gohfeld geboren und starb am 16. Mai 1941 in Bethel bei Bielefeld. Kuhlo war ein bläserisches Naturtalent. Im Alter von 8 Jahren bekam er sein erstes Instrument, eine Altposaune, mit der er sich das Blasen selbst beibrachte. Sein Lieblingsinstrument wurde das Flügelhorn. Es war aber nicht die Musizierleidenschaft, die für Kuhlo den Anstoß gab, Posaunenchöre ins Leben zu rufen. Es war die aus der Erweckungsbewegung heraus erwachsene Frömmigkeit, die ihn dazu drängte, für den Ruf des Evangeliums ein geeignetes, sozusagen unüberhörbares Instrumentarium zu schaffen. Dem zur Folge lautete auch Kuhlo's musikalisches Literaturprinzip:
"Choräle und immer wieder Choräle und geistige Lieder". Bevorzugt wurden dabei die Sätze von Johann Sebastian Bach und die rhythmischen Choräle. Diese enge Bindung der Bläsermusik an den Choral bedingt auch das Klangideal von Kuhlo: Geistliche Instrumentalmusik muss gesanglich sein, weich und leise. Sie muss der menschlichen Stimme so nahe wie möglich kommen. Flügelhörner, Posaunen, Tenorhörner, Baritone und Tuben bringen solchen weichen, breiten Klang in den Posaunenchören. Trompeten, meinte Kuhlo, könnten so etwas nicht leisten. Sie seien zu hart, sie schmetterten, deckten zu, spielten sich in den Vordergrund. Allenfalls in der zweiten Reihe sei für sie Platz.
Um die Posaunenchöre mit geeigneter Literatur zu versorgen, gab Kuhlo ein vierbändiges Posaunenbuch, kurz genannt: Kuhlo I - IV, heraus. Dieses Werk war Jahrzehnte die Standardliteratur der evangelischen Posaunenchöre. Der Posaunenchor Affalterthal spielt heute noch gerne daraus. Durch die ausschließliche Verwendung von Instrumenten mit dem gleichen Grundton B war es Johannes Kuhlo möglich, seine Literatur mit einer einheitlichen Schreibweise zu versehen, der sogenannten "Klavierschreibweise". Vielfach in den Chören bis heute noch "Kuhloschreibweise" genannt.
So wurde Pastor D. Johannes Kuhlo zu dem entschiedenen Impulsgeber evangelischer Bläserarbeit. Auch Pfarrer Reich war begeistert von den Erzählungen seines Freundes, die Kuhlo mit dem Blasen auf seinem Flügelhorn zu unterstreichen wusste. Insgeheim träumte Reich schon lange von einem Posaunenchor und fragte deshalb Kuhlo, ob er nicht auch den jungen Männern aus Affalterthal das Blasen beibringen könnte. Mit Freuden sagte dieser zu. Fünf junge Männer fanden sich auch gleich bereit, das Posaunenblasen zu lernen. Die Frage, woher die Mittel für die Beschaffung der nötigen Instrumente kommen sollten, fand eine einfache, ja großartige Lösung. In der Pfarramtsbeschreibung aus dieser Zeit finden wir vermerkt:
"Pfarrer Reich hat für die ganze Gemeinde sehr viel geleistet, jeden Bedürftigen - deren gab es nicht wenige - hat er reichlich unterstützt. Er stiftete die gemalten Fenster in der Kirche, er sammelte bei seinen Verwandten Geld zur würdigen Instandsetzung des Friedhofes. Er ließ auch im Pfarrhaus sehr viel auf eigene Kosten herrichten oder neu anschaffen.
So war klar, dass er auch die 3 Flügelhörner, l Tenorhorn und einen Helikon aus eigener Tasche bezahlte. Kuhlo übernahm es, den fünf jungen Burschen die Grundbegriffe des Posaunenblasens beizubringen. Mit großem Eifer waren sie bei der Sache. In aller Morgenfrühe fingen sie mit Notenlernen und Blasübungen an und hielten durch bis in den späten Abend. Die ganze Woche hindurch wurde Tag für Tag fleißig geübt, so dass man am Sonntag, den 28. Februar, den ersten öffentlichen Auftritt in der Kirche wagen konnte.
Die Namen der ersten Bläser waren: Georg Prütting, Heinrich Schüpferling, Konrad Schuhmann, Georg Gemählich und Sebastian Hopfengärtner.
An einem Missionsfest, das kurz darauf stattfand, konnten sie schon sämtliche Lieder begleiten. So ist der Affalterthaler Posaunenchor der einzige Chor in unserer bayerischen Landeskirche, der sein Entstehen unmittelbar auf den "Posaunengeneral" Kuhlo zurückrühren kann.
Noch im Gründungsjahr erweiterte sich der Chor durch 6 Bläser: Hans Daut, Johann Hopfengärtner, Konrad Hopfengärtner, Michael Spörl, Hans Ziegler und Johann Ziegler. Wie die ersten fünf Bläser hatten auch die neu Dazugekommenen ihren Wohnsitz am Kirchort Affalterthal. Auch künftig wurde es so gehalten und dies bedeutet einen großen Vorteil für die Chorarbeit: Die Bläser können jederzeit leicht verständigt werden, wenn man zusammenkommen will, sie brauchen nicht erst eine längere Wegstrecke zum Übungsort zurücklegen und es können die Proben bis spät abends durchgeführt werden.
Chorsatzung
Bald nach der Gründung des Chores wurde eine Chorsatzung aufgestellt. Es sollte das Posaunenblasen nicht eine vorübergehende Liebhaberei einiger junger Männer sein, sondern sollte ein von Generation zu Generation sich fortsetzender Dienst an der Gemeinde bleiben. Einige Sätze aus der Chorsatzung lassen erkennen, von welchem Geist die Gründer damals beseelt waren.
Wie ging es weiter?
Durch die Satzungen mit einer guten Ordnung versehen und auf den Dienst in der Kirche ausgerichtet, blieb der Posaunenchor fortan ein fester Bestandteil des kirchlichen Gemeindelebens. Da konnte es nicht ausbleiben, dass das Affalterthaler Beispiel auch andere Gemeinden ermunterte, ebenfalls einen Posaunenchor zu gründen.
So wurden schon im Jahr 1893 in St. Helena-Großengsee, 1894 in Hiltpoltstein und 1895 in Kunreuth Posaunenchöre gegründet, die miteinander eng verbunden blieben. Wenn sich ihre Mitglieder auf kirchlichen Festen trafen, so begrüßten sie sich zum Ausdruck der inneren Verbundenheit mit "Lieber Bundesbruder!" Diese Verbundenheit kam auch immer wieder zum Ausdruck in gegenseitigen Besuchen und gemeinsamen Blasen.
Am 21. Mai 1901 blies der Affalterthaler Posaunenchor zusammen mit den bereits gegründeten Chören von Kunreuth, Großengsee und Hiltpoltstein anlässlich der Einweihung der neuen Kirche in Hetzelsdorf. Der festliche Bläserklang beim Einzug in das neue Gotteshaus ließ in Hetzeisdorf den Wunsch keimen, auch hier einen Posaunenchor zu gründen. Der Ortsgeistliche, Pfarrer Winter, der den Kirchenneubau veranlasst hatte, unterstützte die Absicht; acht Männer aus Hetzeisdorf erklärten sich bereit, im Posaunenchor mitzuwirken. Seither hat der Affalterthaler Chor die Patenschaft für den jüngeren Chor aus Hetzelsdorf übernommen.
Viel zu verdanken hat der Affalterthaler Chor den Lehrern an der Volksschule, die sich als Dirigenten des Chores annahmen. Aus ihrer Reihe sind besonders zu nennen: Herr Lehrer Trautner, der Leiter des Gründungschores und Herr Kantor Wilhelm Müller.
Über Herrn Wilhelm Müller schreibt die Pfarrchronik: "Er hat sich um die politische Gemeinde Affalterthal sehr verdient gemacht, ohne allerdings viel Dank dafür zu ernten. Was er für die Kirche und das kirchliche Leben getan hat in treuer selbstloser Unterstützung der Arbeit der Pfarrer, wird ihm nicht vergessen werden. Den Posaunenchor leitete er von seinem Dienstantritt an und schulte ihn vortrefflich, so dass dieser weit und breit der beste war."
Auch die Pfarrer der Gemeinde sahen im Chor einen starken Helfer in ihrer Gemeindearbeit und förderten ihn so viel sie konnten. Mit Ihnen blieb der Chor auch über ihre Amtszeit in Affalterthal hinaus verbunden. Als Herr Pfarrer Reich im Jahr 1895 die Pfarrstelle Thurnau bei Kulmbach übernommen hatte, ließen es sich seine Bläser nicht nehmen von Affalterthal nach Thurnau zu wandern, zu Fuß eine Strecke von ca. 50 km, um ihn mit einer Standmusik zu grüßen und ihm ihre Dankbarkeit zu beweisen.
Der Posaunenchor während der beiden Weltkriege
Auch während der beiden Weltkriege hat der Chor seinen Dienst an der Gemeinde so gut es ging ausgerichtet. Als im Jahre 1942 alle Bläser zum Heeresdienst eingezogen waren, gelang es der Initiative Konrad Gemählichs, den Chor mit Volksschülern neu aufzubauen. Außer dem Tiefbass waren alle Stimmen mit Schülern aus den oberen Volksschulklassen besetzt. Dies bedeutete eine vollständige Verjüngung des Chores.
In den anderen Gemeinden bestand ein Posaunenchor nicht mehr, da auch dort alle Bläser zum Wehrdienst eingezogen wurden. Deshalb übernahm der stark verjüngte Affalterthaler Posaunenchor, unter der Leitung von Herrn Konrad Gemählich, den Dienst in den dortigen Gemeinden.
Der Chorleiter, Konrad Gemählich, wurde mit seinen jungen Bläsern zu einer Beerdigung nach Thuisbrunn gerufen. Auf dem Friedhof wurden die Beerdigungslieder gespielt und zwar nach Meinung des Chorleiters so schlecht und schaurig, dass man sich in Thuisbrunn wohl nicht mehr sehen lassen brauchte. Doch da waren einige brave Bauersfrauen aus Thuisbrunn ganz anderer Meinung. Beim Verlassen des Friedhofes hielten sie Konrad Gemählich an und sprachen ihm ihr herzlichstes Lob aus: Der 2. Weltkrieg und die damit verbundene Einberufung aller junger Männer waren verantwortlich dafür, dass in vielen Gemeinden die Bläserarbeit der Posaunenchöre niedergelegt werden musste und der Chor bis nach Beendigung des Krieges nicht mehr bestand. Das wurde in Affalterthal dadurch verhindert, dass man die Lücken, die der Krieg in die Reihen der Bläser riss, durch junge Volksschüler, die nur zu gern bereit waren, den Posaunendienst auszuüben, gefüllt hat. Eine Unterbrechung oder gar Auflösung des Affalterthaler Posaunenchores wurde somit abgewendet. Dies hatte zur Folge, dass der Posaunenchor Affalterthal auch während der beiden Welt kriege aktiv weiterbestand.
Von den Bläsern sind im l. Weltkrieg einer, Konrad Förtsch, im 2. Weltkrieg sieben gefallen. Dies waren Johann Ziegler, Georg Deinhardt, Georg Vogel, Kilian Ulm, Johann Vogel, Friedrich Distler und Konrad Heid.
Aus der Arbeit des Posaunenchores
Schon von seiner Gründung an ist es dem Affalterthaler Chor völlig klar gewesen, dass sein Wirken in erster Linie seiner Kirchengemeinde Affalterthal gilt. Er begleitet sowohl die Gemeinde durch den Lauf des Jahres, als auch den Einzelnen bei besonderen Stationen seines Lebens. Gerade der Dienst außerhalb der Kirchenmauern gehört zum Auftrag der Bläser.
"Lobet und danket dem Herrn", so heißt es auch beim 70., 80. oder noch höheren Geburtstagen unserer Gemeindeglieder, bei Hochzeiten und Ehejubiläen. Auch bei den besonderen Veranstaltungen wie Bibelwoche, Evangelisation, Missionsfest, Gemeindenachmittag, ist er zur Stelle, um das verkündigte Wort zu unterstreichen.
Ein besonderer Dienst aber war und ist bis heute das Blasen bei den Beerdigungen und an den Gräbern. Nur die älteren Bläser können noch erzählen wie das früher war; bei Wind und Wetter wurde oft der Leichenzug begleitet von den kilometerweit entfernten Ortsteilen nach Affalterthal, von Sattelmannsburg, Herzogwind, Hartenreuth und manch anderem Ort. Da musste man gut zu Fuß sein und die Wegzehrung war oft bescheiden. Energisch wurden die Bläser angeführt und zusammengehalten vom damaligen Chorleiter Konrad Gemählich. Mit Errichtung der Leichenhallen in Affalterthal und Bieberbach Anfang der 50iger Jahre waren diese Wege dann nicht mehr erforderlich.
Arbeits- und Berufswelt haben sich verändert. Dankbar sind wir für den Einsatz unserer Nachwuchsbläser, Schülern und Schülerinnen und manch persönlichem Opfer an Arbeitszeit, ohne dem der Dienst bei Beerdigungen heute fast nicht mehr getan werden könnte. Über 100 Jahre Posaunenchor Affalterthal, das bedeutet aber auch, wir stehen heute in der Gemeinschaft von über 900 Posaunenchören in Bayern mit über 18.000 Bläsern und Bläserinnen!
Bescheiden war der Anfang des 1. Landesposaunentages 1922 in Kitzingen am Main mit 270 Bläsern. Beim 1. Posaunentreffen nach dem Krieg 1949 in Ansbach waren es schon zehnmal soviel, 1961 in Nürnberg bereits 6.000 Bläser, ebenso 1963 in Hof und 1966 in Passau.
Fast ausnahmslos an allen Posaunentagen haben auch die Bläser und Bläserinnen aus Affalterthal teilgenommen. Durch die vorherige Einübung der Lieder und Musikstücke, die an diesen Festen vorgetragen werden sollen, geschieht eine Neubelebung und Erfrischung des musikalischen Vertrags. Und die Teilnahme an großen Posaunenfesten lassen jeden Bläser von der Gemeinsamkeit des Dienstes an der Gemeinde Jesu Christi einen mächtigen, unvergesslichen Eindruck gewinnen. Daraus ergibt sich eine nachhaltige Stärkung unseres Willens, auch weiterhin mit unseren Posaunen Gottes Lob in dieser Welt zu verkündigen.
Von Bläserinnen und Bläsern
So wie das Posaunenblasen in Affalterthal vor über 100 Jahren ausstrahlte auf Nachbargemeinden, so hat es offenbar auch in den Familien und Häusern des eigenen Ortes weitergewirkt und ist wie ein Funke übergesprungen von einer Generation zur anderen, von einer Familie zur anderen. So gibt es heute Bläserinnen und Bläser, deren Väter, Großväter, Urgroßväter, ja sogar der Ur-Urgroßvater schon dem Chor angehörten, bzw. noch angehören. Das heißt Bläserdienst in der 3., 4. oder gar schon 5. Generation!
Wer aber führte und leitete die Schar der Bläser vom Anfang damals die 100 Jahre hindurch bis heute? Waren es am Anfang Kantoren und Lehrer der Gemeinde, so wurde die Chorleitung im Jahre 1919 von Konrad Gemählich, Sohn des Gründungsmitgliedes Georg Gemählich übernommen. Fast sechs Jahrzehnte lang bis zu seinem Tode im Jahre 1977 hat er den Chor nicht nur geleitet, sondern auch geprägt. Er hat ihn am Leben erhalten dürfen in den schweren Kriegsjahren mit Schülern und Jugendlichen, die er unermüdlich ausbildete. Im hohen Alter legte er die Chorleitung in die Hände seines Sohnes Hans. Wiederum sind inzwischen rund 30 Jahre vergangen, seitdem Hans Gemählich den Dienst des Chorleiters ausübt, immer wieder neue junge Bläser ausbildet und die ältere und die jüngere Generation im Chor zu einer guten Gemeinschaft zusammengehalten hat. Namen von Menschen haben wir genannt, Menschen, die Gott der Herr als seine Werkzeuge gebrauchen wollte und gebrauchen will, als Mitarbeiter in seiner Gemeinde in dieser Welt.
Was wir am Menschen zu danken haben, wollen wir zum Dank an Gott werden lassen.